Carl Abraham Hunnius

Die wissenschaftliche, bewusste Herangehensweise an Meerschlamm als ein Heilmittel, wie auch das Entstehen eines in ganz Russland bekannten Kurorts in Haapsalu sind mit dem Namen des Arztes Dr. Carl Abraham Hunnius verbunden.
C. A. Hunnius wurde am 3. August (nach dem alten Kalender am 23. Juli) 1797 in Tallinn in der Familien eines Gro?kaufmannes deutscher Herkunft geboren. Sein Vater stammte aus Magdeburg und war ein Nachfolger des berühmten Theologieprofessors Aegidius Hunnius, der sich im 16. Jahrhundert für die Lehre Luthers eingesetzt hatte. Carl Abraham machte sein Abitur an der Domschule Tallinn und studierte in den Jahren 1815-1819 Medizin an der Universität Tartu.

Ankunft in Haapsalu

1820 kam der 23-jährige frische Universitätsabsolvent Carl Abraham Hunnius nach Haapsalu und lie? sich hier als Assistent des damaligen Kreisarztes G. Printz und Leiter des Spitals des Invalidenkommandos nieder. Die Jahrhundertwende war für Russland voller Kriege gewesen. Obwohl Haapsalu davon nicht direkt berührt wurde, schallte der Nachklang des Kriegselends auch hier wieder: die Mehrheit der Patienten des Spitals des Invalidenkommandos waren ehemalige Soldaten, jetzt Kriegsinvaliden, Behinderte, Kranke, die behandlungs- und pflegebedürftig waren. Offensichtlich beschäftigte sich auch Dr. Hunnius anfangs hauptsächlich mit den derzeitigen Lazaretten und mit der Betreuung der Kriegsinvaliden. Neben der Hauptbeschäftigung hatte er auch den lokalen Einwohnern Hilfe zu leisten.

Beginn der ernsten wissenschaftlichen Arbeit

Neben der praktischen Tätigkeit interessierte sich C.A. Hunnius auch für wissenschaftliche Problemen und bereits 1821 verteidigte er an der Universität Tartu seine Dissertation, in der er sich mit der damals unter den Esten ziemlich weit verbreiteten Hauteiterung auseinandersetzte, die öfters allgemeine Blutvergiftung verursachte und mit dem Tod endete. Ein Exemplar der lateinsprachigen Dissertation mit dem Titel ‚De morbo: Sinni wil (blaue Blatter) nominato, carbunculo quodam Esthonia rusticis endemo‘ wird gegenwärtig im Museum des Landkreises Läänemaa aufbewahrt. Die damaligen Lehkräfte der Universität Tartu hielten seine Dissertation für eine der gewichtigsten und gründlichsten Forschungsarbeiten in jenen Jahren. Nach der erfolgreichen Verteidigung der Dissertation hoffte der junge Doktor, für einige Zeit ins Ausland gehen zu können, jedoch zwangen die intensive Arbeit im Spital des Invalidenkommandos und die Arbeit als Assistent des Kreisarztes und später als Kreisarzt ihn, diesen Gedanken aufzugeben. Erst 1845 und 1847 unternahm er zwei Auslandsreisen, um seine Kenntnisse zu erweitern.

Der Weg zum Heilschlamm

Während seiner täglichen Arbeit suchte der junge, begabte Arzt nach immer neuen Möglichkeiten, die Behandlungseffizienz zu erhöhen. Er verordnete originelle Medikamentenmischungen, plädierte für das Baden im Meerwasser der Bucht von Haapsalu, was hierorts schon ab dem Jahr 1805 eine Gewohnheit gewesen war. Schon als er sich in Haapsalu niederlie?, hatte insbesondere eine Behandlungsweise sein Interesse gefesselt, worüber in Medizinbüchern nichts geschrieben stand und womit sich gelehrte Mediziner nicht beschäftigt hatten, die aber den hiesigen Einwohnern gut bekannt war und ziemlich breite Verwendung fand. Im Buch von R. Kaulitz-Niedeck ‚Hapsal, ein nordisches al fresko‘ (1930) wird geschrieben, wie Dr. Hunnius die heilenden Eigenschaften des Meerschlammes von Haapsalu kennenlernte. Alltägliche Arztpflichten hätten den Arzt oft auch in die Familien der armen Küstenfischer geführt. Während einem dieser Besuche erblickte er einen alten Fischer, der seine baren Füsse in sonnengewärmten Schlamm gesteckt hatte. Auf die Frage, was er dort tue, antwortete der Alte, dass er an Rheumatismus leide und ein Fussbad im warmen Meerschlamm für ihn Erleichterung bringe. Dr. Hunnius begann die Sache wissenschaftlich zu untersuchen. Erste Versuche führte er bei seinen Patienten und den Soldaten des örtlichen Garnisons durch. Bei mehreren Beschwerden waren die Behandlungsergebnisse überraschend gut und anhand der gesammelten Erfahrungen machte sich Dr. Hunnius daran, Indikationen und Methodik für Schlammanwendungen zu erarbeiten. Er empfahl, Schlamm für lokale Packungen, Bäder (mit warmem Meerwasser verdünnt), Massagen und Einreiben anzuwenden. Der Prozedur schloss sich ein warmes Meerbad an. Auf der von Hunnius zusammengestellten Liste der Krankheiten, bei denen Schlamm- und Meerwasserbehandlung angesagt war, standen etwa zwanzig Positionen, unter denen auch solche Leiden, bei denen Schlamm auf der Grundlage des gegenwärtigen Wissens keine Hilfe bringt. Ausser klinischer Betrachtungen nahm er auch einige simplere Untersuchungen der chemischen Zusammensetzung des Schlammes vor.

Erste Schlammbadeanstalt in Haapsalu

1825 wurde in Haapsalu unter Anregung und Anleitung von Dr. Hunnius mit den Geldern des hiesigen fortschrittlichen Grafen Magnus De la Gardie die erste Wasser- Schlammbadeanstalt gegründet, die sich in der heutigen Suur-Liiva-Stra?e befand. Weil die in Schweden ansässigen Verwandten des Grafen De la Gardie anfingen, ihn und seine Frau spöttisch Saunawärter zu nennen, verkaufte der Graf die Badeanstalt schon einige Monate nach deren Fertigstellung an den Apotheker Franz Heinrich Brasche weiter.

Der Fortführer des väterlichen Lebenswerkes wird geboren

Im Nachhinein erscheint auch die Tatsache bedeutungsvoll, dass in der Familie Hunnius am 28. März desselben Jahres der Sohn Karl Arthur geboren wurde, der Fortführer des väterlichen Lebenswerkes wurde. Die Familie von Dr. Hunnius wohnte in einem gro?en Steinhaus, dessen jetzige Anschrift Karja 6 lautet und das früher den Ungern-Sternbergs gehörte und wahrscheinlich eine Mitgift der Ehefrau von Carl Abraham – der Freifrau Alexandra von Ungern-Sternberg – war. In diesem Haus haben sich mehrere bemerkenswerte Personen aufgehalten. Die bekannteste von denen vielleicht Prof. med. Nikolai Pirogow, dessen Bekanntheit vor allem darauf beruht, dass er erstmalig den Gipsverband und die Äthernarkose in Gebrauch nahm. Als anerkannter Sachkundiger auf seinem Gebiet riet Pirogow, Schlamm zur Nachbehandlung von chirurgischen Krankheiten anzuwenden.

Heilschlamm und Haapsalu erlangen immer mehr Berühmtheit

Viele Ärzte und Lehkräfte der Universität Tartu waren von der neuen Behandlungsweise begeistert und hielten sie für sehr perspektivenreich. Es ist anzunehmen, dass der Name der Stadt Haapsalu unter den Damen und Herren der hohen Aristokratie von St. Petersburg dank dem aus Estland stammenden Philipp Jakob Karell bekannt wurde, der Leibarzt von Nikolai I. und Aleksander II. war. Auch die Beiträge von C.A. Hunnius, in denen er über Haapsalu berichtete und die er hauptsächlich an die St. Peterburger Zeitungen schickte, trugen zur Erhöhung des Ansehens des Kurorts bei.

Gesellschaftliche Arbeit von C. A. Hunnius

Im Jahr 1830 wurde Dr. Hunnius Kreisarzt und sein Arbeitsfeld dehnte sich noch mehr aus, jedoch befasste er sich als Stadtrat neben seiner Hauptbeschäftigung mit mehreren Erziehungs- und Sozialangelegenheiten. 1839 wurde in Haapsalu auf seine Initiative hin eine estnischsprachige Schule eröffnet. Sicherlich konnte hinter der Gründung der estnischsprachigen Schule auch der Inspekteur der Kreisschule Haapsalu Alexander Heinrich Neus stehen, der einer der ersten Forscher der estnischen Volkspoesie war. Später organisierte Hunnius unter den wohlhabenderen Bürgern der Stadt und Badegästen Sammlungen; für das gesammelte Geld erwarb er ein Schenkengebäude, wo 1844 ein Siechenhaus eingerichtet wurde. Das Haus stand an der Kreuzung der jetzigen Tallinn-Chaussee und Lihula-Chausse, wo heutzutage ein Parkplatz ist.

Staatliche Anerkennung fürs Lebenswerk

Als ein freundlicher und liebenswürdiger Arzt und aktiver Teilnehmer am gesellschaftlichen Leben verdiente Hunnius gro?e Zuneigung sowohl unter seinen Patienten als auch der gesamten Einwohnerschaft Haapsalus. Auch blieben seine Verdienste in den höheren Kreisen nicht unbemerkt. Im Jahr 1838 wurde ihm der Titel Staatsrat verliehen und Hunnius wurde in den Adelsstand erhoben.

Die neue moderne Schlammbadeanstalt in Haapsalu

1845 starb die Ehefrau von C.A. Hunnius, jedoch brachte dieses Jahr auch Freuden mit sich. Mit den Kapitalmitteln des Freiherrs Suuremoisa – Ungern-Sternberg – wurde eine neue, zeitgemä?e Badeanstalt errichtet, die sich in der Gegend befand, wo heute die Büste von C.A. Hunnius steht. Beim Einrichten der Badeanstalt wurden die Erfahrungen von Dr. Hunnius, die er während seiner 25-jährigen praktischen ärztlichen Tätigkeit gesammelt hatte, ebenfalls sämtliche Möglichkeiten der derzeitigen Medizin ausgenutzt. Die fertige Einrichtung konnte aufgrund ihrer modernen Ausstattung und der dem neuesten Stand entsprechenden Behandlungsorganisation erfolgreich allen derzeitigen ausländischen Wasserheil- und Schlammbadeanstalten Konkurrenz bieten. Ab 1848 funktionierten in Haapsalu insgesamt zwei moderne Schlamm-Balneotherapieanstalten. Beide waren auf die Initiative von C.A. Hunnius hin gegründet worden und noch viele Jahre nach seinem Ableben in Betrieb.

Ende des Lebenswegs

Im April wurde 1851 Dr. Hunnius zu einem aus St. Petersburg angereisten kranken Mädchen gerufen. Offensichtlich handelte es sich um eine Infektion, denn bald nach dem Besuch wies auch der Arzt selbst dieselben Krankheitssymptome auf wie das Mädchen. Ungeachtet der kollegialen Anstrengungen endete der Lebensweg von C. A. Hunnius nach kurzem Leiden am 10.Mai. Er wurde auf dem Alten Friedhof Haapsalu neben seiner Ehefrau bestattet. Sein Nachfolger sowohl im Amt des Kreisarztes als auch im Bereich Balneologie wurde der älteste Sohn von Carl Abraham Hunnius – Karl Arthur Hunnius, der ebenfalls neben seinem Vater auf dem Alten Friedhof Haapsalu begraben ist.

Ülla Paras
Läänemaa Muuseum (Museum des Landkreises Läänemaa)